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Die Rückkehr zur menschlichen Gesellschaft
Überhaupt die Kinder: Der eigentliche Zorn von Allen Frances richtet sich gegen den Perfektionismus westlicher Gesellschaften, die ihre Kinder unter Pathologieverdacht stellen, sobald sie von einem imaginären Optimum an Sorgenfreiheit abweichen. "Wer nicht den Zustand vollkommenen Glücks erreicht, wer kein sorgenfreies Leben führt, gerät leicht in den Verdacht einer psychischen Störung. Unsere Ziele sind zu hoch gesteckt und unsere Erwartungen unrealistisch – vor allem in Bezug auf unsere Kinder."
Sieht man sich genauer an, welche "Krankheiten" es sind, die unter Kindern statistisch auffällig zunehmen, so waren es in den vergangenen 15 Jahren besonders drei: das inzwischen schon klassische Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom; die bipolare Störung und der Autismus. In amerikanischen Zahlen: "Die bipolare Störung bei Kindern nahm um sage und schreibe das Vierzigfache zu, die Autismusfälle schwollen auf das Zwanzigfache an"; und die Aufmerksamkeitsstörung mit ihrer rasanten Vorgeschichte der anwachsenden ADHS-Diagnosen schon seit den neunziger Jahren hat sich immerhin noch verdreifacht.
Man übertreibt natürlich polemisch, wenn man diese "Krankheitsbilder" ins Allgemeinmenschliche übersetzt: Die Kinder finden nicht wichtig, was man ihnen in der Schule vorsetzt, sie sind zu starken Gefühlen begabt, und sie ziehen sich in sich zurück, wenn sie zu viel behelligt werden. Man könnte angesichts der Daten auch sagen, die Kinder tun nur das Naheliegende, wenn die Erwartungen der Erwachsenenwelt so gar nicht zur Kindlichkeit passen wollen. Sie sind Kinder. Die Aufgabe bestände darin, diejenigen von ihnen in der Masse zu finden und gesunden zu lassen, die wirklich krank sind. Und allen anderen ihre Kindlichkeit zurückzuerstatten.
Die Alles-wird-gut-Gesellschaft bekommt durch Frances einen vitalen Einspruch zu hören. Gewiss, ganz neu ist nichts von dem, was er vorträgt, aber Gesellschaften, die sich dem Frohsinn verschreiben, hören nur durch Verstärkung des Tons noch einmal hin.
Trauer, Unruhe, Verzweiflung: eine Gesellschaft, die menschlich ist, braucht diese drei.