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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Zensur


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herrlehmann
15-11-2003, 18:56
Gerade in der heutigen schnelllebigen Medienlandschaft werden wir überrannt von Schnellschüssen - und auch Hinterladern - diverser Möchtegern-Schreiberlinge, die ihre Profilierungssucht und Selbstdarstellungsneurosen bis zum allerletzten auskosten. Angesprochen wird mit diesen Auswürfen der buntgemischten Pseudo-Wahrheitsfindungselaboraten selbstverständlich unser aller Hang zum gossip: Klatsch und Tratsch erheitern das Gemüt der Nichtbetroffenen und lassen diesen, bzw. uns!, ein erleichtertes 'ätsch, guck mal was da los ist' entfahren. Was mittlerweile den Buchmarkt überschwemmt - und dem Grünbuntem Blatt den Markt nicht schmälert - ist bemerkenswert: ein borisgekübelterbohlen nach dem anderen wird uns um die Ohren geworfen. Und das Beste daran: die Leute legen dafür auch noch ihr Geld auf den Ladentisch (so schlecht kann es uns also gar nicht gehen, das aber nur mal am Rande dazwischengeworfen). Mittlerweile werden aber auch die simpelsten Gemüter müde und unser aller Dieter hat es wieder vorgemacht, um in aller Munde zu sein: noch ein bisschen tiefer, als nur unter die Gürtellinie gekeult, schon heulen die Betroffenen auf (suhlen sie sich nicht eigentlich selber im Blitzlichtgewitter?), die arbeitslosen Gerichte werden bemüht .......... am Ende ist alles im Lot, aber auch jeder Selbstdarsteller ist wieder in den Synapsen des tumben Publikums gelandet - auch wenn wir nur noch gestrichelte und geschwärzte Texte lesen können. Aber: großes Geschrei ergibt große Aufmerksamkeit - und das wollen sie doch alle.

Dermaßen medienwirksam sind die - gerichtlich erzwungenen - Auslassungen im Text eines Maxim Biller sicher nicht, dazu hat dieser Herr wohl doch zu hehre Ansprüche an sein ausschließliches Literatendasein, aber immerhin sind auch in dieser Richtung Unterlassungsklagen recht verkaufsfördernd.
Wenn ich jetzt einmal eine imaginäre Grenze zwischen den o.a. wirtschaftlichdenkenden ©besitzern (schnell ein paar € verdienen, bevor mich kein Schwein mehr kennt) und der sogenannten Literatur ziehe: was bewegt auf der einen Seite die Leute, ihre schmutzige Wäsche uns zum Waschen zu geben (nein, schon klar, wir geifern ja danach), was bewegt die 'Betroffenen' (bzw. diejenigen, die sich angesprochenen fühlen), dem Ganzen noch einen Kick nach oben zu verschaffen, indem sie gerichtlich dagegen angehen? Ist denn niemand in der Lage, einzusehen, dass es zum einen immer mehrere Wahrheiten gibt - auch wenn sie noch so literarisch verpackt sind - und zum anderen eine gerichtliche Verfügung erst recht das Augenmerk auf denjenigen richtet, der es ja eigentlich mit dieser Klage unterbinden wollte? Was sollen wir mit einem geschwärzten - oder eben geweißten Buch (oder wie war das genauc @Sister?)?

Die Devise sollte doch eher lauten: ganz oder gar nicht - ein verstümmelter Text, egal von welchem Dilettanten verfasst, ist gröbster Bockmist. Zensur - egal in welcher Form - erhöht nur das Interesse, aber nicht den Wert des Geschriebenen. Allerdings muss ich erstaunt und doch bewundernd hinzufügen, dass sich bei uns noch niemand um die zensierten Ausgaben der beiden o.a. Bücher gerissen hat, was allerdings nicht zur Folge hat, dass mein Kopfschütteln nachlässt.

Mein Wunsch: die Gerichte sollten sich aus diesem Tratsch heraushalten, sie haben wichtigere Dinge zu tun. Im Fall Bohlen sind es eh alles Leute, die von ihrere Selbstdarstellung leben, im Fall Biller hätte vermutlich kaum ein Hahn danach gekräht, wer nun gemeint ist.

Ich bin versucht, H. Heine (http://www.gutenberg2000.de/heine/legrand/Druckversion_legrand.htm) ein wenig abzuwandeln:


Kapitel 12
Die Zensoren - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Dummköpfe - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Wie ist eure Meinung?

Justine
15-11-2003, 19:27
Unter Zensur verstehe ich etwas "von oben". In den geschwärzten Stellen ging es doch wohl um private Betroffenheit von Leuten, die sich in ihrem "Persönlichkeitsrecht" getroffen fühlten und darum Einstweilige Verfügungen erstritten haben. Ob die Richter das auch so sehen, muss sich meines Wissens doch erst noch zeigen.

Btw: würdest du es gut finden, wenn Dinge, die du privat jemandem erzählt hast, veröffentlicht würden? Z.b. auch Briefe? Da würde doch fast jeder eine EV beantragen, um das streichen zu lassen.

herrlehmann
15-11-2003, 19:34
Zensur kann auch 'von der Seite' kommen, wie in diesen Fällen - und bis heute sieht es so aus, dass sie gegriffen hat.

Pewaz
15-11-2003, 20:55
Zensur ist bedenklich bei wahren niedergeschriebenen eigenen Gedanken.
Bohlen & Co. sind gedankenlos mediengeil.

herrlehmann
16-11-2003, 01:35
Gedankenlos mediengeil? Das möchte ich in diesem Zusammenhang bezweifeln.


Noch einmal: ich halte Zensur in diesem Kontext für sinnlos, weil es eine unmäßige Aufwertung bedeutet.