Auch ich bin keine Expertin, dafür aber "Betroffene" hier in Deutschland - ich versuche mal ganz unaufgeregt einen Mix aus Faktenvermittlung und persönlichem Erfahrungsbericht.
Kurz zum Background: Ich lebe mit meiner Familie mitten in einem der deutschen Wolfsgebiete, zudem mitten in der Natur und direkt an einem großen Naturschutzgebiet mit extrem hohem Wildbestand. Ich bin täglich mehrere Stunden mit vier Hunden in der Natur unterwegs, zudem Reiterin, mein Umfeld besteht zu einem Großteil aus Nebenerwerbs-Jägern und hauptberuflichen Bauern. In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich zudem diverse kleinere und größere Schafsherden - und das sowohl im landwirtschaftlich genutzten Teil der Umgebung als auch tief im Naturschutzgebiet und damit relativ weit von menschlicher Besiedlung entfernt.
Die Wölfe sind hier bei uns dauerhaft aktiv, wenn man sie auch nur selten zu sehen bekommt. Ich persönlich kann ihre An- oder Abwesenheit hauptsächlich daran festmachen, dass ich normalerweise tägliche Wildsichtungen habe ... außer, wenn die Wölfe gerade durchziehen. Dann verkrümelt sich sämtliches Rehwild so tief in den Wald, dass alles wie leergefegt aussieht.
Echte Sichtungen sind bei uns sehr selten. Wir alle bewegen uns hier in der freien Natur und auch im Wald nicht anders als vor den Jahren mit dem Wolf. Hingegen halte ich schon immer sehr bewusst Ausschau nach Wildschweinen - denn denen möchte ich weder in der Rauschzeit noch in der Setzzeit persönlich begegnen. wenn sie in Wallung geraten und einer meiner Hunde oder ich ihnen unbeabsichtigt in die Quere kommt.
Anders als die Wölfe hat das Schwarzwild auch keinerlei Hemmungen mehr, in die Dörfer vorzudringen, Zäune niederzureißen und Gärten zu verwüsten. Hier ist die Gefahr, dass Menschen zu Schaden kommen, inzwischen sehr hoch.
Sollte wirklich jemand Furcht vor einem Wolfskontakt haben, so empfiehlt sich die Mitnahme einer Trillerpeife. Ich WEISS: es klingt total lächerlich. "Haha, so ein großes, starkes Raubtier und Du mit Deiner kleinen Plastikpfiefe für nen Euro ... Du glaubst doch nicht wirklich, dass Du damit gegen einen aus der Spur geratenen Wolf etwas ausrichten kannst!". Nein, gegen einen wirklich aus der Spur geratenen Wolf natürlich nicht. Genausowenig wie gegen einen aggressiven Keiler oder einen tollwütigen Fuchs.
Das Leben ist gefährlich, und wenn man das Pech hat, auf ein verhaltensauffälliges Tier zu treffen, kann man einfach Pech haben.
Der Normal-Wolf aber ist mit einer Trillerpfeife leicht zu vergrämen ... sollte man das seltene Glück haben, überhaupt einem zu begegnen, was höchst unwahrscheinlich ist. Wenn sich aber nun jemand wirklich nicht mehr zum sonntäglichen Verdauungsspaziergang in den Wald traut, weil dort der Wolf zuhause ist - dann eben Trillerpfeife mitnehmen und kräftig reinblasen, wenn man einen Wolf sieht (der vermutlich in Wirklichkeit Nachbars Schäferhund ist).
Bei uns gibt es inzwischen verhältnismäßig viele Nutztier-Tötungen durch Wölfe. Leider Gottes muss man sagen, dass sich daran nichts ändern wird, solange nicht die Halter ihre Haltung an die veränderten Bedingungen anpassen. Hier wäre ein sehr viel besseres Management von Politik- und Verwaltungsseite absolut notwendig. Alleine die Ausbildung von Herdenschutzhunden dauert mehrere Jahre ... und auch die Halter solcher Hunde müssen geschult werden, denen kann man ein paar Kangals schließlich nicht einfach so in die Hand drücken.
Nichts desto trotz muss man das Schadverhalten des Wolfes - ebenso wie sein Gefahrenpotenzial im Vergleich zum Wildschwein - aber auch hier in Relatation setzen.
Ja, der Wolf reißt Lämmer.
Aber Preisfrage und Fun Fact zugleich: wer tötet in Deutschland mehr Lämmer: der Wolf oder der Rabe?
https://www.geo.de/natur/tierwelt/19...ntwortlich-als
Wildtiere machen vor Nutztieren keinen Halt. Das ist einfach so. Die Erholung des Kormoranbestands ist dem Anglerverband ein Dorn im Auge. Der Rabe kehrt zurück und ist selbst von bei der Herde wachenden Schäfern nicht zu vertreiben. Der Wolf kehrt zurück und geht ebenfalls an Nutztiere.
Das ist einfach so.
Wo wollen wir denn bitte die Grenze ziehen - alle Wildschweine, alle Kormorane, alle Raben und alle Wölfe eleminieren? Wir finden bestimmt noch mehr Tiere, die uns in die Quere kommen und wirtschaftlichen Schaden anrichten. Wir können nicht auf der einen Seite Artenvielfalt erhalten wollen und dann auf der anderen Seite jedes Mal aufheulen, wenn es uns einmal selbst trifft.
In meinem Umfeld sind jedenfalls - mit wenigen Ausnahmen - die Landwirte, Schäfer und Jäger der Region extrem entspannt in der Wolfs-Diskussion und wohltuend objektiv. Da wird ausgerechnet von den Betroffenen nicht mit Abschüssen argumentiert.
Alle Hundehalter gehen nach wie vor auch im Wolfsgebiet entspannt mit ihren Hunden spazieren - die müssen ohnehin alle abrufbar sein, wenn man sich mitten im Wildgebiet bewegt. Die Pferde stehen im Sommer weiterhin Tag und Nacht auf der Weide. Und meine Tochter ist über den Wolf aufgeklärt und weiß, wie sie sich im Falle einer Begegnung zu verhalten hat.
Niemand hier ist durch das Zusammenleben mit dem Wolf in seinem Bewegungsspielraum eingeschränkt.
... und sollte sich ein lärmender Städter weniger in die Wälder verirren, weil er sich vor dem Wolf fürchtet und dadurch seinen Picknick-Müll nicht wie oft üblich einfach mitten in der Natur liegenlassen, so ist das vermutlich verschmerzbar.