Erst Anfang diesen Monats wurde Relotius zum 4. Mal mit dem "Deutschen Reporterpreis" ausgezeichnet:
OMG[...] Die Jury, besetzt mit wichtigen Journalisten des Landes, würdigte damit einen Text "von beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz, der nie offenlässt, auf welchen Quellen er basiert". [...]
https://www.sueddeutsche.de/medien/c...ngen-1.4260105
We're too young until we're too old - We're all lost on the yellow brick road - We climb the ladder but the ladder just grows - We're born, we work, we die, it's spiritual
(Kenny Chesney - "Rich And Miserable")
Er hat ja seine Quellen angegeben, leider gab es die meisten genannten Quellen halt nicht.
Genau wie der Stern die Hitler-Tagebücher überlebt hat, wird der Spiegel auch diesen Fall überleben. Was wäre auch die Alternative? Nur noch Internetnews und Leserreporter? Ja wohl eher nicht.
Dass allerdings ein Weckruf durch den Laden geht und gehen muss, das ist vielleicht unterm Strich für alle ein Gewinn.
In einer Welt voller Demagogen und Autokraten, Hybris unter den Wirtschaftseliten und (selbsternannten) Influencern auf nahezu allen Themengebieten ist das Kontrollinstrument der vierten Macht wichtiger denn je. Es hat ja Gründe, dass die entsprechenden Verdächtigen als wichtigen Teil ihres Machterhalts die Gleichschaltung der Presse nach ihren Vorstellungen betreiben.
Ein schlimmer Fall, keine Frage, aber eben doch (so hoffe ich) eine Ausnahme.
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Der voraussichtlich letzte Staller-Krimi!
Ich bin sicher, dass es eine Ausnahme ist. Ich denke, der Spiegel hatte das Pech, und Relotius das Glück, dass er so viele Preise bekam. Wenn jemand mehrfach höchste Auszeichnungen bekommen hat, geht man natürlich von der Qualität seiner Artikel aus - und nicht von Phantasiegebilden.
Finde die Geschichte auch faszinierend und noch faszinierender das dies immer wieder vorkommt. Man denke an Janet Cooke von der Washington Post, die einen Pulitzer-Preis mit einer erfundenen Reportage abräumte, oder Michael Born von Stern TV, Tom Kummer mit seinen erfunden Interviews der SZ. Dagegen gefeit wird die Branche nie sein.
Aber ich denke auch den Film zur Geschichte werden wir bald sehen, dazu ist das zu gut. Den Spiegelartikel könnte man wunderbar als Drehbuch über Relotius umarbeiten.
Die NZZ zum Fall (er schrieb auch für die NZZ am Sonntag und die Weltwoche):
Seine Geschichten waren zu perfekt, um wahr zu sein
Die Artikel von CR in der Weltwoche sind online abrufbar. Das Nachlesen erspare ich mir
Geändert von ganzblau (20-12-2018 um 09:46 Uhr) Grund: CR, nicht CS
If we don't succeed in leaving patriarchy behind, this planet is toast.
Relotius wusste als Insider ganz genau, welche Kontrollen routinemäßig gefahren wurden. Es war ihm also ein Leichtes, den Check zu überlisten.
Statt nun über den Spiegel abzulästern und allen Journalisten grundsätzlich kriminelle Energie zu unterstellen, könnte man diese ganze Geschichte auch als Lehrbeispiel dafür nehmen, wie aufwändig verantwortungsvoller Journalismus incl. seiner Verifizierung ist.
Und wie leicht es ist, Enten (neudeutsch: Fake News) zu produzieren.
Die Gattung der "großen Reportage" ist imho eh ziemlich anfällig, dass man Dinge um der Form halber zumindest aufhübscht.
Der Grenze zur Literatur ist da einfach zu nah, Sprache, die geschliffene Formulierung, das sprechenste Bild, wirkt zumindest oft wichtiger als die zu berichtende Tatsache an sich.
Und wenn es dafür dann noch Preise hagelt, dann mag ein junger, sprachlich begabter Autor versucht sein, sich im Fabulieren zu vergessen und bewusst das passend zu machen, was in der Realität so nicht in die Geschichte passt.
Der Begriff "Geschichte" für ein journalistisches Werk ist in meine Augen eh problematisch und der Gebrauch dieses Ausdrucks und auch wieder die ausschweifende Erzählung, statt einfach mal kurz, präzise und sachlich Fakten zu schildern, ist mir gestern an der "Eine Rekonstruktion in eigener Sache von Ullrich Fichtner" sauer aufgestoßen.
Die Arbeit von Claas Relotius erinnert an die journalistische Qualität der bunten Klatschblätter, die über die Königshäuser referieren. Die dortigen "Reporter" müssen nie ihr Büro verlassen, sondern basteln aus Agenturmeldungen kuriose Geschichten zusammen, a la "Großer Schock für die Queen - Charles und Camilla Ehe am Ende".
Relotius wäre wohl als Schriftsteller besser aufgestellt. Dort behindert einen keine lästige Realität, sondern man kann seiner Phantasie freien Lauf lassen. Schreiben kann er gut. Aus dem Hochstapler Karl May wurde ja auch einer der ganz großen Autoren.
ich stimm hier zu,
die presse ist teils der versuchung erlegen, sich möglichst gut zu lesen, möglichst viel emotionales echo und quoten zu generieren, und dabei möglichst elegant auszuschauen. für mich geht das bis zu einer truman's world, also schon vor jahren sagte ein lokaler journalist zu mir, das was wirklich geschehen ist, schreib ich dann in der zeitung. mit voller absicht im doppelsinn, um mich aufzuklären, wie es läuft.
die welt IST zu einem guten teil ein mediales konstrukt in der hoffnung, die realität würde folgen.
einmal da rein gekippt, kommt man aus dem konstruieren und gestalten nicht mehr heraus, bis man hauptsächlich sein eigenes "brand" und image gestaltet.
dass man wie "down the rabbit hole" in seine eigene geschichte hinein gezogen wird.
dagegen dürfen dann alle gutwilligen jungjournalistInnen anstrampeln. doch manche sind eben genies genau in dieser "gestaltung".
da kommt ja goethe ins spiel (beim standard gabs neulich einen goethe thread), bei dem war aber klar, dass seine geschichten (als staatsbeamter bitte) zum mahnenden vorbild dienen sollen, und einen gesellschaftlichen entwurf, ein engineering darstellen.
das interessante dabei ist eben auch die rolle im "day job" und die verbindung zur oligarchie. die sich ja in zeitepochen ändern kann.
Das Netz hat keine Obergrenze.. Das Schöne: Im Netz ist jede Aussage wahr. -- Nur die Fragen, die im Prinzip unentscheidbar sind, können wir entscheiden. (Heinz von Foerster)
http://www.antiquealive.com/Blogs/Ha...ean_House.html
Ein aus meiner Sicht besonderer Leckerbissen der Schreibkunst von Relotius ist seine SPIEGEL-Reportage vom 9.7.2016 "Königskinder".
Sie handelt von zwei Flüchtlingskindern, denen manchmal im Traum Angela Merkel, die Königin Europas erscheint, als eine junge Frau mit weißem Gewand und goldenen Haaren.