... Danke, Sabuha Du lieferst mir mit deinen Ausführungen zum Schluss ein gutes Stichwort, bei dem ich mich mit "einhängen" kann.
WEIL es ein Exkurs ist, im Spoiler:
In der Schweiz tobt gerade der von dir zuletzt angesprochene Begrifsskrieg. Und zwar im Nachgang zum Mord an George Floyd bzw. im Nachgang zu den Solidaritätskundgebungen gegen Rassismus. Und ich meine genau die Negerkuss / Schaumkuss-Diskussion. Das Ding heisst in der deutschen Schweiz "Mohrenkopf" - und scheint so etwas wie eine heilige Kuh zu sein. Dazu der Tagesschau-Beitrag vom letzten Freitag, falls sich jemand weiter informieren will. Sage und schreibe 95% der Deutschschweizer sehen offenbar in der Bezeichnung nichts Anstössiges ... und verwiesen wird auf Ortsnahmen und vor allem Ortswappen, wo der "Mohr" nach wie vor seine Schuldigkeit tut.
Kurz und knapp: Der Inhaber der Schaumkuss-Fabrik "Dubler" hat zwar vor vielen Jahren dafür gesorgt, dass der Schattenriss eines klischierten Schwarzen von der Verpackung verschwand, aber er schwor auch, dass er an der Bezeichnung "Mohrenkopf" festhalten werde. Das ist der Grund, weswegen die Migros die Süssigkeit nun aus allen Filialen verbannt hat ... und das hat wiederum den Volkszorn entfacht. Auf die Argumente pro und kontra will ich gar nicht eingehen, weil das nur ein Abklatsch der in Deutschland geführten Diskussion ist - und ja, Sabuha hat schon alles gesagt.
Wie erkläre ich einem gestandenen Schweizer, dass der "Mohrenkopf" als Bezeichnung rassistisch ist - und rassistisch bleibt, auch wenn es doch nur "nett gemeint" ist Und wieso fällt es einer Mehrheit von Menschen so schwer, über den Tellerrand zu blicken und wenigstens den Versuch zu unternehmen, die Sache aus Sicht eines Betroffenen anzuschauen? Würde man das tun, dann wäre die Frage der Angemessenheit keine. Weil sich die Gleichgültigkeit vieler nun mal mit dem Leid des einzelnen gar nicht aufrechnen lässt.
Und was hat das alles mit dem hier angesprochenen Thema zu tun. Ich finde, ziemlich viel
Dass die Farbe der Hautoberfläche wenig bis nichts über die Person aussagt, die in der Hülle steckt, hat sich mittlerweile offenbar herumgesprochen. Dass man Menschen nicht mit imperialistisch vorbelasteten Begriffen wie eben "Neger" (oder: "Mohr" ) bezeichnen soll, ist auch weitgehend Konsens.
Offenbar ist es aber für die Leute etwas anderes, wenn eine harmlose Süssigkeit umbenannt werden soll ... und ich denke, das hat schlicht und einfach mit der Popularität des fraglichen Objekts zu tun: Wer People of Color kennt, wird sich kaum weigern, auf die Bedürfnisse dieser Personen einzugehen - und wer keine kennt, dem kann es egal sein, welche Bezeichnungen gerade angesagt sind. Die Süssigkeit aber kennen - und mögen - die meisten; ergo tut man sich schwer mit einem Namenswechsel um der political correctness willen. Und es zeigt sich wieder mal die alte Leier: Wenn im wesentlichen nur den direkt Betroffenen ein gesellschaftlicher Umschwung am Herzen liegt, dann dauert es.
Deshalb ist ja der jetzige globale Umschwung (der auch den "Mohrenkopf" mit sich reisst, genauso wie die Statuen alter Kolonialherren) so wichtig: Die Beschäftigung mit Rassismusthemen ist ENDLICH mehrheitsfähig!
Das aber ist die Beschäftigung mit anderen als binären Geschlechtsidentitäten noch lange nicht. Und deshalb diskutieren wir hier gerade so kontrovers.
Für J.K. Rowling ist klar und nicht hinterfragbar, dass das biologische Geschlecht eine für uns alle unumstössliche Realität darstellt. Und dass deshalb menstruierende Personen als Frauen zu identifieren - und zu bezeichnen sind. Dracena sagt, dass sie in einem safe space, der für das weibliche Geschlecht reserviert ist, niemanden "mit Penis" sehen will.
Ich dachte ja zunächst auch, dass es hier um einen ähnlich unwichtigen Aufriss geht, wie ihn 95% der Deutschschweizer mit Blick auf den in Ungnade gefallen "Mohrenkopf" erkennen. Aber mittlerweile denke ich anders.
Was, wenn die Trans-Person "mit Penis", die sich als Frau sieht, aufgrund der gesellschaftlichen Zuschreibung als "Mann" dem genau gleichen Leidensdruck ausgesetzt ist wie der als Frau geborene Cis-Mensch, der vor einer gewalttätigen Beziehung flieht? Dann haben beide einen Raum der Schonung verdient und sollten sich um diesen nicht kloppen müssen. Genausowenig wie um die Bezeichnung "Frau".
In einer traditionell patriarchalischen Weltordnung sind ALLE diskriminiert, die sich den festen Gender-Zuordnungen und Rollenvorstellungen entziehen möchten. Bis hin zum Punkt, wo es lebensgefährlich wird. Sei es, weil andere einen nicht leben lassen möchten, wie man es gerne tun würde. Sei es, weil Lebensräume aktiv ... etwa durch Gewalt ... beschnitten werden. Wo die Gewalt anfängt und wo sie aufhört: Das sollte nicht der Massstab werden, um Leidensdruck zu definieren. Weil das Mehrheiten grundsätzlich anders sehen als Minderheiten. Und NICHT, weil es unmöglich sein sollte, sich ohne bestimmte, geteilte Erfahrungen (... wie zum Beispiel monatliche Blutungen) nicht trotzdem vollumfänglich einigen zu können.
Eigentlich ganz einfach.
@ganzblau
zum Thema Mohrenkopf und auch Mohrenapotheke hätte ich auch eine Anmerkung. Ich komme aus Bayern, wo die Bezeichnung Mohr auch gerade bei Aptheken und manchem auch Wirtschaften schon vorkommt, sowie auch der Mohrenkopf und kein Negerkuss. Die Bezeichnung Mohr ist bei vielen Bezeichnungen nicht mit Neger gleichzusetzen, sondern kommt vom Heiligen Mauritius, einem römischen, immer als Schwarzen dargestellten Heerführer, der aus Afrika stammte. Mauritius wiederum stammt wahrscheinlich vom ich glaube griechischen Wort Morus, was schwarz bedeutet. Die Benennung hatte also oft mehr mit Verehrung zu tun, als mit Diskriminierung. Das gilt zum Beispiel auch für die Stadt Coburg, die einen Mohrenkopf im Wappen führt, da der heilige Mauritius der Stadtheilige ist. Die Benennung der Apotheken hat zum Beispiel, neben dem heiligen Mauritius auch damit zu tun, das die Mauren eine viel weiter entwickelte Medizin nach Europa brachten und damit identifiziert wurden. Sorry für den kleinen Exkurs, aber die Bezeichnung Mohr ist meiner Meinung nach etwas differenzierter als Neger.
Das heisst nicht, das sie nicht kritisch betrachtet werden muss, aber ich finde die Hintergründe sind auch wichtig.
Manchmal um zu verstehen, warum sich manche Mohrenapotheke nicht umbenennen will.
Um zu verstehen, warum das nicht so einfach ist: Der "Mohr" hatte lange Jahrhunderte nur die Funktion als Diener der weißen. Und genau deswegen ist Mohr als rassistisch zu verstehen.
Die Herleitung vom heiligen Mauritius ist immer das Feigenblatt der "ich-bin-doch-kein-rassist-aber"
Es ist halt schwierig in einer Gruppe Gleicher den einen vor dem anderen zu schützen, wenn nicht alle Mitglieder der Gruppe per se dazu bereit sind.
Aber man kann immerhin versuchen andere Gruppen vor dieser einen Gruppierung zu schützen. Und genau das wird versucht mit beispielsweise Frauenparkplätzen.