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  1. #106
    Mitleser
    Ort: Schwoabaländle
    Zitat Zitat von Eisperlchen Beitrag anzeigen
    Ich finde es erschreckend, mit welcher Vehemenz das damalige Handeln dieser Frau hier verteidigt und entschuldigt wird
    Ich sehe nicht, daß hier irgendjemand die Taten der nationalen Sozalistischen Arbeiterpartei Deutschlands verteidigt oder entschuldigt.

    Bei einem solchen Prozess, oder überhaupt einer Anklage, sollte es aber um die individuelle Schuld gehen.
    Die Frau dürfte Jahrgang 1925 sein, durchlief also in Kindheit und Jugend die volle Indoktrination. Gerade junge Menschen können sich da schwer entziehen. Sie hat eine Lehre bei der Sparkasse gemacht (eine staatliche Institution wo man beamtet wurde), war also weisungsgebunden.
    Wie hier schongeschrieben wurde, wurde Personal von der SK an das Lager transferiert. Das Mädchen war da noch nicht in dem Alter, wo es eigene Entscheidungen fällen durfte und ja auch nicht volljährig. Entsprechende Verträge mußte der Vater abschließen. Selbst nach dem Ende des Naziterrors war sie nicht volljährig.
    Was hätte sie als Sekretärin dort tun sollen um Menschenleben zu retten? Wen hat sie ermordet? Hätte sie sich weigern können, dort zu arbeiten? Vielleicht, aber Ihr (geplantes) Leben wäre zerstört gewesen und sie hätte sich gegen die Familie stellen müssen. Berufsentscheidungen waren zu der Zeit selten der Wille der Kinder.

  2. #107
    .. long, long time ago.. Avatar von Lucky
    Ort: zuhause
    Zitat Zitat von Schusselchen Beitrag anzeigen
    @Eisperlchen
    Es geht nicht um Entschuldigungen sondern um Erklärungen für das, was passiert ist.

    Hier ein sehr langer aber trotzdem gut lesbarer und interessanter Beitrag zu der gesamten Thematik anhand des letzten Stutthoffprozesses im Jahr 2020. Angeklagt und nach Jugendstrafrecht verurteilt war ein damals 17-jähriger, der im August 1944 eingezogen und wegen Kampfunfähigkeit als Wachmann bis April 1945 nach Stutthoff geschickt wurde. Im Beitrag werden viele Aspekte beleuchtet, ein eindeutiges Fazit kann auch da nicht gezogen werden, auch wenn es sogar einen extra Gliederungspunkt dazu gibt....

    https://www.zukunft-braucht-erinneru...ozess-hamburg/
    Dankeschön für diesen sehr informativen Link!

  3. #108
    Eisperlchen
    unregistriert
    Zitat Zitat von Onkelfritz Beitrag anzeigen
    Ich sehe nicht, daß hier irgendjemand die Taten der nationalen Sozalistischen Arbeiterpartei Deutschlands verteidigt oder entschuldigt.

    Bei einem solchen Prozess, oder überhaupt einer Anklage, sollte es aber um die individuelle Schuld gehen.
    Die Frau dürfte Jahrgang 1925 sein, durchlief also in Kindheit und Jugend die volle Indoktrination. Gerade junge Menschen können sich da schwer entziehen. Sie hat eine Lehre bei der Sparkasse gemacht (eine staatliche Institution wo man beamtet wurde), war also weisungsgebunden.
    Wie hier schongeschrieben wurde, wurde Personal von der SK an das Lager transferiert. Das Mädchen war da noch nicht in dem Alter, wo es eigene Entscheidungen fällen durfte und ja auch nicht volljährig. Entsprechende Verträge mußte der Vater abschließen. Selbst nach dem Ende des Naziterrors war sie nicht volljährig.
    Was hätte sie als Sekretärin dort tun sollen um Menschenleben zu retten? Wen hat sie ermordet? Hätte sie sich weigern können, dort zu arbeiten? Vielleicht, aber Ihr (geplantes) Leben wäre zerstört gewesen und sie hätte sich gegen die Familie stellen müssen. Berufsentscheidungen waren zu der Zeit selten der Wille der Kinder.

    Da auch Kindersoldaten aus den Schulen rekrutiert wurden, bezweifele ich, dass dann ausgerechnet bei zivilen Angestellten nach der Einverständniserklärung der Eltern gefragt wurde.
    Sicherlich gab es auch eine Richtlinie, die es damals Minderjährigen erlaubte, z.b. Arbeitsverträge etc. abzuschließen.
    Geändert von Eisperlchen (03-10-2021 um 09:51 Uhr)

  4. #109
    Auffe Couch für den BVB Avatar von Jaspis I.O.F.F. Team
    Ort: Doatmund
    Der Prozess ist dazu da, um eine etwaige Schuld festzustellen. Die Staatsanwaltschaft vertritt das geltende Gesetz.
    Offenbar gibt es so viele Indizien, dass es einen Prozess zulässt.
    Wenn im Laufe des Prozesses klar wird, dass die Angeklagte nichts Strafbewehrtes getan hat, so wird sie freigesprochen. Dabei werden sicher die damaligen Lebensumstände als auch ihr jugendliches Alter berücksichtigt.

    Und, ja, die perfiden Mechanismen von Indoktrination müssen mal wieder zur Sprache kommen, denn es gibt bald keine Zeitzeugen mehr. Nur, weil sie eine hochbetagte Frau ist, ist sie nicht automatisch von der Strafverfolgung frei zu stellen. Was, wenn sie mit 17 jemanden umgebracht hätte, einen Nachbarn z. B. und das wäre erst heute herausgekommen? Kein Prozess, weil sie so jung war? Weil der Nachbar vielleicht ein Ekelpaket war? So funktioniert Recht nicht. Es ist auch keine Entschuldigung, dass in der Nachkriegszeit die Strafverfolgung von Nazivergehen oftmals eher lax bis gar nicht erfolgte.

    Hier wurde mal das Milgram-Experiment erwähnt. Mir ist klar, dass man wahrscheinlich fast jeden Menschen dazu bringen kann, ein Verbrechen zu begehen, wenn man ihn entsprechend unter Druck setzt und/oder ihm die Verantwortung dafür abnimmt. Ich nehme mich davon nicht aus.

    Hier ein kurzer Artikel zum Thema "Frauen als Nazi-Verbrecherinnen"
    https://www.sueddeutsche.de/politik/...hen-1.486639-2
    Geändert von Jaspis (03-10-2021 um 09:59 Uhr)
    "There is no glory in prevention." Christian Drosten, 12.03.2020

  5. #110
    Eisperlchen
    unregistriert
    Danke für den Artikel, Jaspis

    Gerade die Aussage, dass Frauen für den reibungslosen Ablauf des Systems wichtig, in diesem Fall kriegswichtig, waren, sagt auch viel über die Tätigkeit dieser Sekretärin aus und war daher nicht so harmlos, wie es hier von manchen Usern dargestellt wird.

  6. #111
    Wenn man Eure Meinung hier liest, Ihr seid ja alles Helden. Ihr hättet Euch ja gegen das Regime gestellt.
    Im nachhinein ist man immer schlauer.
    Man kann dann auch jeden Fabrikarbeiter der an der Granate gedreht hat anklagen, hätte es ja verweigern können.
    Die Grossen hätte man alle zur Verantwortung ziehen sollen aber doch nicht ne billige Sekretärin.

  7. #112
    YNWA Avatar von reddevil
    Ort: am großen Strome
    Zitat Zitat von sahsnotas Beitrag anzeigen
    Wenn man Eure Meinung hier liest, Ihr seid ja alles Helden. Ihr hättet Euch ja gegen das Regime gestellt.
    Im nachhinein ist man immer schlauer.
    Man kann dann auch jeden Fabrikarbeiter der an der Granate gedreht hat anklagen, hätte es ja verweigern können.
    Die Grossen hätte man alle zur Verantwortung ziehen sollen aber doch nicht ne billige Sekretärin.
    biliige Sekretärin? Ahja. Geh dich erstmal informieren

    for your dreams be tossed and blown...



  8. #113
    Auffe Couch für den BVB Avatar von Jaspis I.O.F.F. Team
    Ort: Doatmund
    Zitat Zitat von sahsnotas Beitrag anzeigen
    Wenn man Eure Meinung hier liest, Ihr seid ja alles Helden. Ihr hättet Euch ja gegen das Regime gestellt.
    Im nachhinein ist man immer schlauer.
    Man kann dann auch jeden Fabrikarbeiter der an der Granate gedreht hat anklagen, hätte es ja verweigern können.
    Die Grossen hätte man alle zur Verantwortung ziehen sollen aber doch nicht ne billige Sekretärin.
    Ja, im nachhinein ist man tatsächlich schlauer, weil man nämlich auf die unbequemen Wahrheiten geguckt hat.
    Weil es eben nicht nur "die Großen" waren, sondern ein System wie das der Nazis nur funktionieren konnte, weil sehr viele Menschen durchaus begeistert mitgemacht haben.

    Und, nein, ich wäre vermutlich keine Heldin gewesen. Aber vielleicht wäre ich wie meine Mutter (Jahrgang 30) gewesen: Sie ist einfach außen vor geblieben, weil sie aus einer christlich geprägten Familie stammte und den ganzen BdM-Kram doof fand.
    "There is no glory in prevention." Christian Drosten, 12.03.2020

  9. #114
    YNWA Avatar von reddevil
    Ort: am großen Strome
    Wenn ich meine Familienbiographien sehe die beide sehr stark durch den Krieg geprägt wurden (beide hätten sich anders wohl niemals getroffen) und die ganz sicher alle keine Nazis waren sondern ganz normale junge Leute die einfach nur ihr Leben leben und ihre Familie ernähren wollten. Und dann hier teilweise lesen muss das man ja gar keine andere Wahl hatte als im KZ als Chefsekretärin zu arbeiten oder Widerstandskämpfer zu werden. Sorry aber da könnt ich manchmal echt ausrasten!


    for your dreams be tossed and blown...



  10. #115
    Eisperlchen
    unregistriert
    Es gibt auch solche, die zuerst mitgemacht und dann in den Widerstand gegangen sind, wie z.b. das Ehepaar Hampel aus dem Wedding:

    https://www.spiegel.de/fotostrecke/w...ke-142653.html

    Oskar Schindler war zuerst auch ein strammer Nazi und hat dennoch seinen Einfluss geltend gemacht, um ca. 1200 jüdische Zwangsarbeiter zu retten.

    Hier eine Auflistung von Widerstandskämpfern, im Großen wie auch im Kleinen:

    https://www.gdw-berlin.de/vertiefung...enverzeichnis/


    Und zwischen denen, die mit und für das System gearbeitet haben und den Widerstandskämpfern gab es eine Menge Menschen, die das Unrecht erkannt und Verfolgten geholfen haben und sei es nur, in dem sie ihnen zu essen gegeben oder sie ein oder mehrere Tage versteckt haben.
    Oder die, die Klappe gehalten haben und nicht zur Gestapo gerannt sind, um Helfer zu denunzieren.
    Und diese ehemalige Sekretärin gehört definitiv nicht dazu.
    Geändert von Eisperlchen (03-10-2021 um 11:14 Uhr)

  11. #116
    .. long, long time ago.. Avatar von Lucky
    Ort: zuhause
    Zitat Zitat von Jaspis Beitrag anzeigen
    ... Aber vielleicht wäre ich wie meine Mutter (Jahrgang 30) gewesen: Sie ist einfach außen vor geblieben, weil sie aus einer christlich geprägten Familie stammte und den ganzen BdM-Kram doof fand.
    Oder wie meine Mutter, die in einem Dorf aufgewachsen ist, in dem alle Mädchen im BDM waren / sein mussten (und zwar wirklich begeistert, weil zum ersten Mal Interessantes und Besonderes für die Jugend geboten wurde) und die dann mitbekam, dass ihre Freundin, die bei einer angeordneten Sammlung über das "Scheiß-Winterhilfswerk" gemeckert hatte, plötzlich für 2 Monate nicht mehr da war. Auf Nachfrage bei ihren Eltern bekam sie eine deftige Ohrfeige und das strickte Verbot, auch nur ein Wort über die Sache zu verlieren. Die Freundin hat später ebenfalls nicht über ihren Aufenthalt gesprochen.

    Das hat ihr natürlich unsägliche Angst gemacht, aber ein Ausstieg aus der Nazi-Indoktrination war damit nicht verbunden.

    Auch das ist natürlich ein Einzelfall, aber ich glaube tatsächlich, dass sich vor allem sehr junge Menschen ohne entsprechenden Rückhalt im Elternhaus der Erziehung im Nationalsozialismus nur sehr schwer wenn überhaupt entziehen konnten.
    Geändert von Lucky (03-10-2021 um 11:13 Uhr)

  12. #117
    Der Staat und Justiz macht sich mit solchen Prozessen lächerlich und unglaubwürdig !

    In den fünfziger und sechziger Jahren liefen die Vorgesetzten dieser "kleinen Leute" frei herum und besetzten teilweise hohe Positionen im Staat.
    Weitere bauten mit dem "geklauten" Vermögen Firmen auf. War damals alles bekannt und ist dokumentiert. Wo sollen die auch ab Mai 1945 auch gewesen sein ?
    Nein, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wurde mit Hilfe der Allierten ein Mantel des Schweigens drüber gelegt und die bekannten 'Persilscheine' ausgestellt. (Entnazifisierung)
    Jetzt, diese damals indoktrinierten jungen Menschen im Alter vor Gericht zu zerren, sollte öffentlich angeprangert werden. Wo sind die Berichte in Presse und TV ?
    Es lächerlich, eine damals 18jährige Sekretärin, heute mit 96 Jahren anzuklagen. Ihre Vorgesetzen (nicht die ganz oben) liefen nach dem Krieg frei rum !

    Geschichte wiederholt sich: Wer glaubt denn junge Menschen heute in der (DDR) , heute Türkei, Rußland, Belarus usw usw im gleichen Maße ausgenutzt werden.

    Wer bestraft die Sekretärin die in der DDR die Schießbefehle getippt hat ?

    Frage: Hat die heutige Jutiz noch alles auf der Reihe ??

    PS: nein, ich wähle nicht die AFX
    Geändert von Nachsicht (03-10-2021 um 11:55 Uhr)

  13. #118
    Ich komme in Frieden. Auf ewig! Avatar von dracena I.O.F.F. Team
    Ort: Mördergrube
    Danke für den Link. Der bietet sehr viele interessante Artikel zur Zeitgeschichte, ich hab ihn gleich mal gebookmarked, um weiteres zu lesen.
    Nein ist ein vollständiger Satz.

  14. #119
    Zitat Zitat von Onkelfritz Beitrag anzeigen
    Was hätte sie als Sekretärin dort tun sollen um Menschenleben zu retten? Wen hat sie ermordet? Hätte sie sich weigern können, dort zu arbeiten? Vielleicht, aber Ihr (geplantes) Leben wäre zerstört gewesen und sie hätte sich gegen die Familie stellen müssen.
    Ihr (geplantes) Leben wäre zerstört gewesen? Das kommt mir recht pathetisch und vor allem zynisch vor - angesichts der Tatsache, dass sie in einem Konzentrationslager gearbeitet hat.

    Sie hat 1943 in Stutthof angefangen. Da war das Lager schon vier Jahre in Betrieb und für die harten Lebensbedingungen berüchtigt. Die Ermordeten wurden unter freiem Himmel verbrannt, weil die beiden Öfen nicht alle Leichen fassen konnten. Wer im Verwaltungsgebäude arbeitete, konnte das nicht nur riechen, sondern die Häftlinge auch sehen. Die Baracken stehen direkt daneben. Stutthof war ein Vernichtungslager. Eine Maschine zum Menschen-Töten. Darunter übrigens viele Kinder.

    Niemand muss Menschenleben retten. Aber Töten - oder beim Töten helfen - darf man eben auch nicht (selbst, wenn es ganz gut zum (geplanten) Leben passt, wie Du das schreibst).

  15. #120
    Zitat Zitat von Nachsicht Beitrag anzeigen

    Frage: Hat die heutige Jutiz noch alles auf der Reihe ??
    Ja - hat sie.

    Indem sie das in 70 Jahre versäumte nachholt, begeht sie kein Unrecht. Es geht um Aufklärung. Immer noch. Und immer wieder.

    Wer weiss, was bei den Vernehmungen der Angeklagten bzw. Zeug:in vor Gericht heraus kommt? Vielleicht werden auch nur die Namen einiger Denkmäler gestürzt, wenn deren Rolle im NS-Staat nachträglich zutage kommen. Auch wenn sie bereits verstorben sind.

    Da wird vielleicht so manche/r angebliche Flakhelfer, als ehemaligeer SS-Scherge enttarnt, vonn dem es keiner gedacht hatte, nur weil er im Besitz des Nobelpreises war.

    Allein für solch eine mögliche Option lohnt sich schon die Aufnahme jedes Verfahrens.
    "Es genügt nicht nur sich keine Gedanken zu machen, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken." (Karl Kraus)


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